Treugott
Die Luft schmeckte nach dem Zorn der Götter, welcher sich über London zu entladen drohte und die ersten Boten des drohenden Unheils ließen sich fast anmutig und doch unbeirrbar herniederfallen.
Ungeduldig, denn er wollte dem Regen lieber entgehen, schielte Treugott auf seine Junghans, schlug den Kragen seines Mantels hoch und schaute die Straße herab. Dicke Tropfen schlugen erst vereinzelt, dann mehr und mehr um ihn auf und auf seinem Mantel vermehrten sich die einzelnen Tropfen zu großen, dunklen FLecken. Gerade als er überlegte, sich wieder in den Eingang des Shards zurückzuziehen, bogen die Scheinwerfer eines Taxis in der Straße ein. Das musste seins sein. Der Wagen hielt genau in dem Moment am Straßenrand, als der Himmel endgültig seine Pforten öffnete und die Wassermassen herabschütteten, Treugott riss die Tür auf und zwängte sich neben Harley auf die Rückbank.
“Meine Güte, das nenne ich mal ein Wetter!”, sagte Harley, der versuchte vom klittschnassen Treugott abzurücken, um nicht selber noch in Mitleidenschaft gezogen zu werden, “Hast Du keinen Regenschirm?”
Missmutig grunzend versuchte Treugott in dem beengten Raum seinen durchnässten Mantel auszuziehen, ohne seinen Anzug oder seinen Freund zu treffen, was ihm nur in Ansätzen gelang.
“Nimm es nicht so tragisch, bis die Vernisage öffnet, bekommen wir uns schon wieder trocken.”, beschwichtigte ihn Harley. Treugott nickte geistesabwesend und tastete seinen Mantel ab.
Der gute Dexter weiß, wie nervös ich immer vor meinen Ausstellungen bin, dachte Treugott, Hilft mir aber nur bedingt. Schließlich fand er, was er gesucht hatte und zog den Flachmann aus der Innentasche, drehte den Verschluss auf und sog den scharfen, torfigen Geruch ein und nahm schließlich einen tiefen Schluck. Als der Whisky warm und brennend seine Kehle runter rann, lies er sich in den Sitz fallen und entspannte sich. Als er den missmutigen Blick seines Galeristen neben sich wahrnahm, bot er ihm die Flasche an. “Aardbeg. Für die Nerven das Beste.”
Harley winkte ab. “Du wolltest damit aufhören”, antwortete er mit unverhohlener Sorge in der Stimme. Treugott seufzte; er wusste, was jetzt kommen würde und entschloss die Initiative zu übernehmen. Er dreht den Flachmann zu und reichte ihn Harley.
“Du hast Recht. Und ja, ich habe gesagt, dass ich aufhören will. Und ich meine das auch so. Ich weiß, dass ich zu viel trinke und dringend damit aufhören muss. Frag mich nicht, warum ich mir dann den Flachmann eingepackt habe, ich weiß es nicht. Aber das ist mein erster und letzter Schluck heute gewesen, versprochen. Dafür ist der Tag heute zu wichtig. Bitte nimm sie.”
Misstrauisch nahm Harley die Flasche entgegen. Als er den Ernst im Gesicht des Künstlers sah, nickte er schließlich. “Ich nehme dich beim Wort. Alle werden heute da sein, das ist Deine Chance, über die Grenzen Londons bekannt zu werden. Der Baron bezahlt zwar Dein Atelier in diesem völlig überteuerten Gebäude, aber das heißt nicht, dass er das auch weiter machen wird. Deine Werke sprechen für sich, aber wenn der Künstler abdreht, dann war es das mit den Privilegien. Und, was das wichtigste ist”, hier drehte sich Dexter zu Treugott um und schaute ihm in die Augen, “Ich möchte gern meinen wahnsinnigen aber genialen Freund behalten und keinen versoffenen Penner. Und ja, wenn es Dir zuviel wird, sag mir Bescheid, dann hole ich Dich raus. Da gibt es einen kleinen Nebenraum, in dem Du Dich zurückziehen kannst.”
Treugott erwiderte ernst den Blick, bis schließlich ein Lächeln über seine angespannte Mine huschte. “Danke Dir.” Trotzdem wirst Du mir nicht meine Träume nehmen können, das schafft nur eine gute Flasche Whisky. Um sich von diesen verräterischen Gedanken abzulenken, holte er seinen Skizzenbuch hervor und kritzelte los. “Dann lass uns noch mal den heutigen Abend durchgehen.”